Sonntagszeitung, 13. Mai 2001:
Viel Spass beim Pflügen
«Panikmache?», SonntagsZeitung vom 6. Mai
Der Artikel «Panikmache» suggeriert, dass die
fortschreitende globale Erwärmung ein von einer
eingeschworenen Wissenschaftlerelite herbeigeredetes
Problem darstellt. Um diese reisserische Behauptung zu
belegen, stützt sich der Autor Jürgen Krönig auf
zweifelhafte Quellen, aus dem Zusammenhang gerissene
Zitate und falsche Tatsachen. Verschiedene Wissenschaftler
werden als angebliche Experten in der Frage der
Klimaänderungen angeführt. Der theoretische Physiker
Dyson hat nie Klimaforschung betrieben; dies gilt
auch für
Stott, dessen propagandistische www-Site zu jedem
kontroversen Thema (tropische Regenwälder,
Gentechnologie, Klimaerwärmung) ein einfaches Rezept
verkündet.
Das Meereis der Arktis sei nicht dünner geworden, wie auf
Grund einer neuen Studie behauptet wird. Tatsache ist, dass
diese neue Studie sich nur auf den Spätwinter beschränkt
und einzig eine Traverse vom Nordpol Richtung Kanada
berücksichtigt. Die Aussage von IPCC (Intergovernmental
Panel on Climate Change), dass die arktische Eisdecke um
40 Prozent abgenommen habe, bezieht sich auf den Sommer
und stützt sich auf weiträumige Messungen. IPCC klassiert
diese Beobachtung als «wahrscheinlich» auf einer Skala von
«praktisch sicher» bis «ausserordentlich unwahrscheinlich».
Solche wichtigen Differenzierungen, die das IPCC
konsequent in allen Aussagen macht, werden leider in den
Medien regelmässig unterschlagen.
MIT-Professor Lindzen, ein anerkannter
Atmosphärenwissenschaftler, ist ein langjähriger Kritiker
der globalen Erwärmung und präsentierte mehrfach Thesen,
wie die Erde ihre Temperatur selbst regulieren könne. Diese
sind inzwischen widerlegt worden. Seine neueste Idee (2001,
Bull. American Meterorol. Soc., vol. 82, 417-432), dass die
Erwärmung durch verstärkte Wolkenbedeckung
kompensiert würde, ist nicht neu, und er selbst bezeichnet
sie als «höchstens provisorisch». Lindzen hat am neuesten
IPCC-Bericht mitgewirkt: Er zeichnet als Hauptautor
mitverantwortlich für ein Kapitel, was belegt, dass IPCC
nicht eine geschlossene Gesellschaft ist, sondern auch
Kritiker in den Prozess miteinbezieht.
Weiter soll laut Krönig Prof. Crowley, einer der
angesehensten Klimaforscher, vom «Zerbröckeln des
gesamten Kohlendioxid-Paradigmas» gesprochen haben.
Wer die wissenschaftliche Literatur zur heutigen
Klimadebatte verfolgt, weiss, dass Crowley wesentlich zum
Nachweis der globalen Erwärmung beigetragen hat. In
«Science» (2000, vol. 289, 270-277) schreibt Crowley
wörtlich: «Die Kombination des einzigartigen Anstiegs der
Temperatur im späten 20. Jahrhundert und einer besseren
Abgrenzung der Rolle der natürlichen Variabilität liefert
zusätzliche Evidenz, dass der Treibhauseffekt sich bereits
über dem Niveau der natürlichen Schwankungen im
Klimasystem eingestellt hat.» Dies steht in krassem
Widerspruch zum obigen Zitat, das völlig aus dem
Zusammenhang gerissen ist und sich gemäss Crowley auf
die Entwicklung des Klimas über die letzten 500 Millionen
Jahre bezieht.
Schliesslich behauptet Prof. Wellmer, dass es
nach wie vor unklar sei, ob der Anstieg von CO2 vom
Menschen verursacht ist. Falls dieses Zitat korrekt ist, zeugt
es von totaler Unkenntnis sowohl der fundamentalsten
Zusammenhänge des Kohlenstoffkreislaufs wie auch
weltweiter direkter Messungen der letzten 40 Jahre.
Dass Krönigs Artikel IPCC pauschal kritisiert, aber nicht
erklärt, wie der IPCC-Prozess abläuft, ist äusserst
irritierend. Am vorliegenden IPCC-Bericht haben fast 1000
Wissenschaftler während dreier Jahre unentgeltlich
mitgearbeitet. Die Teilnahme steht allen qualifizierten
Wissenschaftlern offen, die sich engagieren wollen. Vom
Umweltprogramm der Uno und der UN-Weltorganisation
für Meteorologie hat IPCC den Auftrag, alle 4 bis 5 Jahre
den Status des Wissens über vergangene und künftige
Klimaveränderungen zusammenzufassen. Nur Resultate, die
in international begutachteten, wissenschaftlichen
Zeitschriften erschienen sind, werden berücksichtigt. Wo
kein Konsens besteht, wird dies auch deutlich gemacht. Das
zusammenfassende Dokument (Summary for Policymakers,
verfügbar unter www.ipcc.ch) wurde von den Delegationen
von 99 Mitgliedstaaten nach einem mehrstufigen
Begutachtungsprozess und langen Beratungen einstimmig
Wort für Wort verabschiedet. Diesen aufwändigen und
transparenten Prozess zu verschweigen und den IPCC-
Bericht den Aussagen einiger Skeptiker in dieser Form
gegenüberzustellen, ist tendenziöse Berichterstattung und
Irreführung des Lesers.
Prof. T. Stocker, Klima- und Umweltphysik, Universität
Bern
Prof. C. Schär, Institut für Klimaforschung, ETH Zürich
Dr. C. Ritz, Direktor Forum for Climate and Global
Change, ProClim- der SANW
Dr. R. Hohmann, Sekretär des beratenden Organs für Fragen
der Klimaänderung, OcCC