Sonntagszeitung, 6. Mai 2001:
«Treibhauspanik»: Ist es wirklich so schlimm?
Der Berner Umwelt- und Klimaphysik-Professor Thomas Stocker sagt Ja
1. Der Anteil der vom Menschen freigesetzten Treibhausgase in der Atmosphäre beträgt
gerade mal zwei bis drei Prozent an deren Gesamtmenge. Den Rest liefern Meere, Böden,
Vulkane und Vegetation. Wie soll eine so geringe Menge gravierende Klimaveränderungen
verursachen?
Thomas Stocker: Man muss hier ganz klar zwischen Umsatz und Gewinn unterscheiden.
Jeder kennt diesen Unterschied. Der Aufbau von Organismen benötigt CO2; bei deren
Abbau wird wiederum CO2 freigesetzt. Das ist der natürliche Umsatz. Der «Gewinn»
dabei ist jedoch gleich null, da sich das Gesamtsystem im Gleichgewicht befindet.
Die so umgesetzte Menge CO2 ist tatsächlich etwa zwanzigmal grösser als die jährlich
vom Menschen durch die Verbrennung fossiler Brennstoffe und die Änderung der Landnutzung
wie etwa die Abholzung tropischer Regenwälder freigesetzte Menge. Da jedoch beim
natürlichen Umsatz kein «Gewinn» erzielt wird, ist das vom Menschen freigesetzte
CO2 allein verantwortlich für den massiven Anstieg der Treibhausgase seit 200 Jahren:
Heute hat es bereits dreissig Prozent mehr CO2 in der Atmosphäre als je zuvor in
den letzten 420 000 Jahren.
2. Die Klimaprognosen beruhen auf Computersimulationen, nicht auf realen Messungen.
Es gibt erhebliche Abweichungen zwischen Computermodellen. Auch erwiesen sich Berechnungsgrundlagen
als falsch.
Stocker: Sowohl die Wettervorhersage wie auch die Klimaprognosen werden durch die
Kombination von hochentwickelten Computermodellen und Messungen erstellt. Die Berechnungsgrundlagen
leiten sich aus den Gesetzen der Physik und der Chemie her. Obwohl in den letzten
fünf Jahren bedeutende Fortschritte erzielt wurden, sind diese Modelle noch nicht
perfekt. Trotzdem können sie die vergangenen 150 Jahre der Klimaentwicklung mit
erstaunlicher Zuverlässigkeit nachbilden, was darauf hinweist, dass die Berechnungsgrundlagen
zutreffend sind.
3. Messstationen liegen häufig in oder nahe bei Wärmeinseln städtischer Ballungsgebiete.
Dadurch wird das Datenbild verzerrt und eine höhere Durchschnittstemperatur vorgegaukelt.
Stocker: Das Problem der Wärmeinseln ist nicht neu, und die betroffenen Stationen
sind einer genauen Qualitätsprüfung und Korrektur unterzogen worden, bevor diese
Datensätze verwendet wurden. Der Nachweis der Erwärmung während der letzten 50 Jahre
hängt nicht von diesen Stationen ab. Weit wichtigere Indizien der Erwärmung kommen
aus den Ozeanen, deren oberste Schichten sich weltweit erwärmt haben.
4. Bislang ungenügend berücksichtigt ist die Wirkung diverser astronomischer Phänomene,
die unter Umständen zyklisch auftreten und erheblichen Einfluss auf das Klima der
Erde haben. So gibt es etwa Sonnenflecken-Zyklen, aber auch, wie neue Forschungen
erbrachten, Zyklen des Mondes - mit erheblichen Konsequenzen für das Klima.
Stocker: Dank präziser Messungen der Strahlungsleistung der Sonne konnten die Schwankungen
auf Grund von Sonnenzyklen bestimmt werden. Diese sind rund acht Mal kleiner als
die Veränderung der Strahlungsbilanz auf Grund einer Zunahme der Treibhausgase seit
1750. Mittels Paläoklimadaten wurde abgeschätzt, dass astronomische Phänomene, Vulkane
und natürliche Klimavariabilität etwa zu gleichen Teilen die beobachteten Temperaturschwankungen
der letzten tausend Jahre verursachten. Ab 1970 können die beobachteten Temperaturschwankungen
aber nur noch unter Berücksichtigung der Treibhausgase erklärt werden.
5. Die Ausgangsbasis der Treibhauspaniker ist schief. Sie suggerieren, dass die
Erwärmung der Erde erst in neuerer Zeit stark zunimmt. Dabei bewegt sich die Erde
derzeit aus der «kleinen Eiszeit» heraus, was den Anstieg ebenso erklären könnte.
Stocker: Diese Schwankungen werden nicht unterschlagen, sondern sie bilden die
Grundlage zur Bestimmung der natürlichen Variabilität des Klimas. Rekonstruktionen
von Temperaturen während der letzten tausend Jahre und Messreihen zeigen deutlich,
dass das mittelalterliche Klimaoptimum und die Abfolge verschiedener «kleiner Eiszeiten»
eine Schwankungsbreite aufweisen, die die deutlich wärmeren Temperaturen der letzten
dreissig Jahre nicht mehr einschliessen.
6. Es wurde noch kein Abschmelzen der Eiskappen an den Polen festgestellt, wie oft
behauptet wird.
Stocker: Am Nordpol gibt es keine Eiskappe, dort hat es lediglich Meereis. Dessen
Entwicklung über die letzten dreissig Jahre gehört zu den dramatischsten Beispielen
der fortschreitenden Erwärmung. Die Auswertung von Satellitenbildern belegt, dass
die Ausdehnung der Eisbedeckung in der Arktis seit 1970 um zehn Prozent abgenommen
hat, die Eisdicke sogar um vierzig Prozent. Die Meereisbedeckung um die Antarktis
hat sich allerdings tatsächlich nicht wesentlich verändert.
7. Auch der Meeresspiegel steigt nicht an. Der oft beschworene baldige Untergang
der Inselstaaten in der Südsee ist eine Mär, die durch Fakten nicht gestützt werden
kann.
Stocker: Die neuesten Messungen belegen, dass der Meeresspiegel in den letzten
hundert Jahren um etwa ein bis zwei Millimeter pro Jahr angestiegen ist. Dies ist
eine Anstiegsrate, die zehnmal grösser ist als in den letzten 3000 Jahren. Bei einer
fortschreitenden globalen Erwärmung erwartet man einen Anstieg des Meeresspiegels
von 9 bis 88 Zentimeter bis ins Jahr 2100. Für die realistischsten Abschätzungen
der zu erwartenden CO2-Emissionen beträgt der Anstieg etwa 30 bis 50 Zentimeter
bis ins Jahr 2100.
8. Die Eiszeit ist der Normalzustand der Erde. Die Treibhausgase machen das Leben
auf der Erde überhaupt erst möglich.
Stocker: Ohne die wichtigsten Treibhausgase Wasserdampf und CO2 wäre es tatsächlich
bitterkalt auf der Erde: -18°C statt +15°C, und Leben wäre nicht möglich. Die zuverlässigsten
Klimadaten zeigen, dass die Erde eine lange Abfolge von längeren Eiszeiten und kürzeren
Warmzeiten erlebt hat. Ohne Zutun des Menschen würde die jetzige Warmzeit nach jüngsten
Berechnungen noch weitere 20 000 Jahre andauern. Eiszeiten sind also nicht ein «Normalzustand»
der Erde, sondern lediglich ein Teil der natürlichen Klimazyklen. Nicht Treibhausgase
an sich, sondern deren rasche Zunahme durch menschliche Aktivitäten und deren Klimawirksamkeit
in Verbindung mit der Verletzlichkeit von Gesellschafts- und Ökosystemen geben zu
ernsthaften Bedenken Anlass.