Weltwoche 2002, Ausgabe 25, Seiten 58-59.

Journalistische Nebelbank
Thomas Stocker

Die Konzentration der Treibhausgase ist doch eine Gefahr für das Klimasystem. Das Problem ist nicht hochstilisiert. Eine Replik.

Eisschichten als Archiv der Klimageschichte von 1500 Jahren: Eiskappe in den Anden von Peru.
Unter dem Titel "Geistige Warmluftfront" (Weltwoche Nr. 21/02) erklärt der Journalist Dirk Maxeiner die Klimaänderung zu einem von selbstgefälligen Wissenschaftlern und Oeko-Politikern hochstilisierten Problem, das in Wirklichkeit gar keines sei. Eine so einseitige, zuweilen polemische und stellenweise falsche Darstellung vernebelt die Tatsachen.

Der Mensch hat in den letzten 250 Jahren die Konzentration der wichtigsten Treibhausgase in der Luft massgeblich verändert. Heute sind über 30 Prozent mehr Kohlendioxid und über 150 Prozent mehr Methan in der Luft als je zuvor in den letzten 420 000 Jahren. Es ist klar, dass sich die globale Gemeinschaft mit diesem Problem auseinander setzen muss. In Artikel 2 der Rahmenkonvention für Klimaänderungen der Vereinten Nationen ist ein eindeutiger Auftrag formuliert: Die Treibhausgaskonzentration in der Atmosphäre soll auf einem Niveau stabilisiert werden, das eine gefährliche Veränderung des Klimasystems verhindert. Diese Rahmenkonvention ist seit 1994 in Kraft, 186 Staaten haben sie bisher ratifiziert. Zur wissenschaftlichen Unterstützung bei der Umsetzung der Konvention wurde 1988 das Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) ins Leben gerufen und damit beauftragt, periodisch das Wissen über das Klimasystem, seine Veränderungen und die Prozesse, die es beeinflussen, zusammenzufassen.

Im Weltwoche-Artikel wird das IPCC als geschlossener Zirkel verschworener Wissenschaftler dargestellt, die die Klimaerwärmung zum Dogma erhoben hätten, um Forschungsgelder üppig fliessen zu lassen. Als aktiv Beteiligter kann ich sagen: Der Prozess, der zum IPCC-Klimabericht von 2001 führte, war aufwendig und transparent. Rund 2500 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler haben während dreier Jahre daran mitgearbeitet und ihre Expertise eingebracht. Die Teilnahme steht allen qualifizierten Personen offen, die sich engagieren wollen. Auch Skeptiker und langjährige Kritiker können sich beteiligen, sofern sie aktiv im entsprechenden Fachgebiet tätig sind. Im Artikel stand, dass der "Auftrag des IPCC und die Herangehensweise der modernen Wissenschaft nur schwer kompatibel" seien, weil IPCC-Berichte wissenschaftlichen Konsens darstellten. Keine Frage, "Konsenswissenschaft" wäre das Ende der Wissenschaft schlechthin! Wissenschaftlicher Fortschritt passiert gerade dort, wo alte Vorstellungen über den Haufen geworfen werden. Insofern stimme ich mit Maxeiner völlig überein.

Dennoch ist die Aussage falsch. Denn das IPCC macht keine Forschung, sondern fasst Erkenntnisse zusammen, die zuvor bereits in wissenschaftlichen Zeitschriften publiziert wurden. Nach einem Erkenntnisschritt folgt notwendigerweise immer eine Phase des «temporären Konsenses», auf dem die nachfolgenden Arbeiten aufbauen. Genau hier hakt das IPCC ein: Es macht alle fünf bis sieben Jahre eine Momentaufnahme dieses temporären Konsenses in Form eines Statusberichts. Wenn unter den Wissenschaftlern kein Konsens besteht, so wird das in den Berichten des IPCC deutlich hervorgehoben; wie etwa bei der Rolle der Wolken für die globale Erwärmung.

Der IPCC-Prozess ist ein Modellbeispiel dafür, wie Forschungsergebnisse in die Politik einfliessen können. Zu politischen Fragen äussert sich das IPCC selbst jedoch nicht. Diese klare Trennung ist Voraussetzung zur Erfüllung des Mandats: das Wissen vom Klima und seinen Veränderungen kritisch zu würdigen und so die wissenschaftliche Basis für politische und gesellschaftliche Entscheidungen bereitzustellen. Genau das haben wir getan, und wir werden es auch weiterhin tun. Die Vorbereitungen für den "Vierten Statusbericht" laufen bereits an; er soll 2007 erscheinen.

Zur Diskreditierung der Klimaproblematik und der Klimaforscher bedient sich der Weltwoche-Artikel des gängigen Strickmusters der Vereinfachungen, der Einstreuung falscher Behauptungen und der Zitierung von einzelnen abweichenden Expertenmeinungen.

Vereinfachungen:
Die Erwärmung des Klimas einzig auf "kürzere Winter" zu reduzieren und dies als erfreuliche Entwicklung zu bezeichnen, ist zynisch. Diese Darstellung ignoriert die vielen komplexen Wechselwirkungen im Klimasystem, die sich aufgrund einer Erwärmung ergeben, und spielt die Grösse und Langfristigkeit der Klimaproblematik bewusst herunter. Gerade der Schweizer Leser ist sich der Verwundbarkeit des alpinen Raums bewusst (Wintertourismus, Siedlungen in exponierten Lagen, Veränderung der Gletscher, Permafrost). Zu den global wichtigen Auswirkungen der Klimaänderung gehören die Erhöhung des Meeresspiegels, die Veränderungen des Wasserkreislaufs und die mögliche Verschiebung von Vegetationszonen.

Einstreuung falscher Behauptungen:
1. Das IPCC hat bezüglich Meeresspiegelanstieg keine Korrektur von "mehreren Metern" vorgenommen, wie Maxeiner behauptet. Hier vermischt er die mittelfristigen Abschätzungen für das Jahr 2100 mit den langfristigen für die Jahre 2500 und 3000. Die Schätzungen des Anstiegs bis 2100 waren vielmehr sehr konsistent: 21 bis 71 Zentimeter (im Bericht von 1990), 13 bis 94 Zentimeter (1995) und 9 bis 88 Zentimeter (2001). Zum Ausgleich der Temperaturen brauchen die Ozeane viele hundert Jahre. Deshalb steigt der Meeresspiegel auch dann noch an, wenn die Erwärmung der Atmosphäre bereits abgeschlossen ist. Das IPCC hat seit seinem ersten Bericht diese langfristige Erhöhung mit zwei bis vier Metern veranschlagt. Der gegenwärtige Anstieg von ein bis zwei Millimetern pro Jahr ist im Einklang mit den Erwartungen für das 21. Jahrhundert. Denn die Erwärmung steht erst an ihrem Anfang - der jährliche Anstieg ist noch gering.

2. Grönland war im Mittelalter nicht "weitgehend eisfrei". Das belegen Eisbohrkerne aus den verschiedensten Regionen von Grönland: Sie enthalten alle Eis, das mehrere tausend, ja bis zu hunderttausend Jahre alt ist.

3. Das IPCC hat nicht, wie es im Weltwoche-Artikel steht, Klimakurven "verschwinden lassen". Tatsache ist, dass eine grob geschätzte, schematische Temperaturkurve der letzten tausend Jahre aus dem Bericht von 1990 ersetzt wurde durch eine Kurve, die auf Baumringen und anderen Klimaarchiven beruht, also auf quantitativen Abschätzungen der Temperaturen der nördlichen Hemisphäre.

Gerade hier zeigt sich, dass das IPCC in seinen periodischen Statusberichten die neuesten Erkenntnisse aufnimmt. Der Vorwurf, die Kurve sei "statistisch nicht haltbar", verfängt nicht: Die Temperaturkurven stammen von mehreren unabhängigen Forschern und basieren auf unterschiedlichsten Datensätzen. Alle Rekonstruktionen zeigen einen bedeutenden Anstieg der Temperatur seit etwa 1900. Für die letzten dreissig Jahre erreichen sie Werte, die über die bekannte Schwankungsbreite der letzten tausend Jahre hinausgehen.

4. Die Aussage, der Mensch sei nur mit rund drei Prozent an der globalen CO2-Emission beteiligt, wird von Skeptikern seit Jahren verbreitet. Sie ist bewusst irreführend: Die kleine Prozentzahl täuscht Bedeutungslosigkeit vor. Doch es sind just die menschengemachten drei Prozent, die sich im Gegensatz zum grossen Rest in der Atmosphäre anreichern. Insgesamt fliessen durch das Atmen aller lebenden Organismen pro Jahr etwa 210 Milliarden Tonnen Kohlenstoff in die Atmosphäre und wieder zurück.

Die Oekosysteme selbst nehmen ihre Emissionen vollständig wieder auf und binden sie in Form von Biomasse. Dieser "jährliche Umsatz" demonstriert eindrücklich das dynamische Gleichgewicht des Systems Erde.

Demgegenüber verursachen jene jährlich sieben Milliarden Tonnen Kohlenstoff, die der Mensch durch die Verbrennung fossiler Energieträger, Abholzung und Zementproduktion in die Luft bringt, einen "Gewinn", da diese Emissionen nur zum Teil von Oekosystemen aufgenommen werden. Diesen "Gewinn" in Prozentzahlen des "Umsatzes" zu messen, ist irreführend und suggeriert bewusst die Irrelevanz der menschlichen Emissionen. Es ist vielmehr und ausschliesslich der menschengemachte Ausstoss, der in den letzten 250 Jahren zur stetigen Zunahme der CO2-Konzentration in der Luft geführt hat und damit für den verstärkten Treibhauseffekt verantwortlich ist.

Aussagen von einzelnen Experten:
Entgegen der zitierten Meinung des Physikers Zbigniew Jaworowski, der übrigens in der Klimaforschung nicht bekannt ist, basieren Klimamodelle auf den Grundgesetzen der Physik. Klimamodelle enthalten die gleichen mathematischen Formulierungen wie die Wettervorhersagemodelle, deren Erfolg nachgewiesen ist und ohne die wir keinen Ausflug planen! Der Fortschritt der Klimamodellierung der letzten zehn Jahre bleibt in Jaworowskis Aussage unberücksichtigt: Die heutigen globalen Modelle enthalten sowohl Ozeane als auch Meereis und bilden die Wechselwirkungen zwischen den einzelnen Klimasystemkomponenten in erstaunlich realistischer Weise nach. Verbesserungen sind natürlich weiterhin notwendig, vor allem bei der Simulation des Wasserkreislaufs und der Wolkenbildung.

Der bekannte Klima-Skeptiker Richard Lindzen, ein respektierter Atmosphärendynamiker und Mitautor verschiedener IPCC-Berichte, verbreitet Thesen über Kühlsysteme, die sich nachträglich als unhaltbar entpuppt haben. So verglich er neulich die Wolkenbedeckung in den Tropen mit einer gigantischen Iris, die sich bei Erwärmung schliesse und deshalb wie ein natürlicher Thermostat wirke. Abgesehen davon, dass die Idee nicht neu ist und Lindzen selbst sie als "sehr vorläufig" bezeichnete: Die These wurde kürzlich aufgrund einer eingehenden Analyse widerlegt. Die Hoffnung auf eine Selbstregulierung der Natur bei einer Störung des Systems, die weit ausserhalb der natürlichen Schwankungsbreite liegt, scheint illusorisch.

Vereinfachungen, falsche Behauptungen, einzelne abweichende Expertenmeinungen, angesichts dieser Mixtur ist die Schlussfolgerung in Maxeiners Text nicht mehr überraschend und deckt sich im Tenor mit ähnlichen Artikeln über schwierige Themen, die die Gesellschaft von heute herausfordern: "Entwarnung, alles halb so schlimm, kein Grund zur Sorge."