Die Konzentration der
Treibhausgase ist doch eine Gefahr für das Klimasystem. Das Problem ist
nicht hochstilisiert. Eine Replik.
Eisschichten als Archiv
der Klimageschichte von 1500 Jahren: Eiskappe in den Anden von
Peru.
Unter dem Titel "Geistige
Warmluftfront" (Weltwoche Nr. 21/02) erklärt der Journalist Dirk Maxeiner
die Klimaänderung zu einem von selbstgefälligen Wissenschaftlern und
Oeko-Politikern hochstilisierten Problem, das in Wirklichkeit gar keines
sei. Eine so einseitige, zuweilen polemische und stellenweise falsche
Darstellung vernebelt die Tatsachen.
Der Mensch hat in den letzten 250
Jahren die Konzentration der wichtigsten Treibhausgase in der Luft
massgeblich verändert. Heute sind über 30 Prozent mehr Kohlendioxid und
über 150 Prozent mehr Methan in der Luft als je zuvor in den letzten 420
000 Jahren. Es ist klar, dass sich die globale Gemeinschaft mit diesem
Problem auseinander setzen muss. In Artikel 2 der Rahmenkonvention für
Klimaänderungen der Vereinten Nationen ist ein eindeutiger Auftrag
formuliert: Die Treibhausgaskonzentration in der Atmosphäre soll auf einem
Niveau stabilisiert werden, das eine gefährliche Veränderung des
Klimasystems verhindert. Diese Rahmenkonvention ist seit 1994 in Kraft,
186 Staaten haben sie bisher ratifiziert. Zur wissenschaftlichen
Unterstützung bei der Umsetzung der Konvention wurde 1988 das
Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) ins Leben gerufen und
damit beauftragt, periodisch das Wissen über das Klimasystem, seine
Veränderungen und die Prozesse, die es beeinflussen,
zusammenzufassen.
Im Weltwoche-Artikel wird das IPCC als
geschlossener Zirkel verschworener Wissenschaftler dargestellt, die die
Klimaerwärmung zum Dogma erhoben hätten, um Forschungsgelder üppig
fliessen zu lassen. Als aktiv Beteiligter kann ich sagen: Der Prozess, der
zum IPCC-Klimabericht von 2001 führte, war aufwendig und transparent. Rund
2500 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler haben während dreier Jahre
daran mitgearbeitet und ihre Expertise eingebracht. Die Teilnahme steht
allen qualifizierten Personen offen, die sich engagieren wollen. Auch
Skeptiker und langjährige Kritiker können sich beteiligen, sofern sie
aktiv im entsprechenden Fachgebiet tätig sind. Im Artikel stand, dass der
"Auftrag des IPCC und die Herangehensweise der modernen Wissenschaft nur
schwer kompatibel" seien, weil IPCC-Berichte wissenschaftlichen Konsens
darstellten. Keine Frage, "Konsenswissenschaft" wäre das Ende der
Wissenschaft schlechthin! Wissenschaftlicher Fortschritt passiert gerade
dort, wo alte Vorstellungen über den Haufen geworfen werden. Insofern
stimme ich mit Maxeiner völlig überein.
Dennoch ist die Aussage
falsch. Denn das IPCC macht keine Forschung, sondern fasst Erkenntnisse
zusammen, die zuvor bereits in wissenschaftlichen Zeitschriften publiziert
wurden. Nach einem Erkenntnisschritt folgt notwendigerweise immer eine
Phase des «temporären Konsenses», auf dem die nachfolgenden Arbeiten
aufbauen. Genau hier hakt das IPCC ein: Es macht alle fünf bis sieben
Jahre eine Momentaufnahme dieses temporären Konsenses in Form eines
Statusberichts. Wenn unter den Wissenschaftlern kein Konsens besteht, so
wird das in den Berichten des IPCC deutlich hervorgehoben; wie etwa bei
der Rolle der Wolken für die globale Erwärmung.
Der IPCC-Prozess
ist ein Modellbeispiel dafür, wie Forschungsergebnisse in die Politik
einfliessen können. Zu politischen Fragen äussert sich das IPCC selbst
jedoch nicht. Diese klare Trennung ist Voraussetzung zur Erfüllung des
Mandats: das Wissen vom Klima und seinen Veränderungen kritisch zu
würdigen und so die wissenschaftliche Basis für politische und
gesellschaftliche Entscheidungen bereitzustellen. Genau das haben wir
getan, und wir werden es auch weiterhin tun. Die Vorbereitungen für den
"Vierten Statusbericht" laufen bereits an; er soll 2007
erscheinen.
Zur Diskreditierung der Klimaproblematik und der
Klimaforscher bedient sich der Weltwoche-Artikel des gängigen
Strickmusters der Vereinfachungen, der Einstreuung falscher Behauptungen
und der Zitierung von einzelnen abweichenden
Expertenmeinungen.
Vereinfachungen: Die Erwärmung des
Klimas einzig auf "kürzere Winter" zu reduzieren und dies als erfreuliche
Entwicklung zu bezeichnen, ist zynisch. Diese Darstellung ignoriert die
vielen komplexen Wechselwirkungen im Klimasystem, die sich aufgrund einer
Erwärmung ergeben, und spielt die Grösse und Langfristigkeit der
Klimaproblematik bewusst herunter. Gerade der Schweizer Leser ist sich der
Verwundbarkeit des alpinen Raums bewusst (Wintertourismus, Siedlungen in
exponierten Lagen, Veränderung der Gletscher, Permafrost). Zu den global
wichtigen Auswirkungen der Klimaänderung gehören die Erhöhung des
Meeresspiegels, die Veränderungen des Wasserkreislaufs und die mögliche
Verschiebung von Vegetationszonen.
Einstreuung falscher
Behauptungen: 1. Das IPCC hat bezüglich Meeresspiegelanstieg keine
Korrektur von "mehreren Metern" vorgenommen, wie Maxeiner behauptet. Hier
vermischt er die mittelfristigen Abschätzungen für das Jahr 2100 mit den
langfristigen für die Jahre 2500 und 3000. Die Schätzungen des Anstiegs
bis 2100 waren vielmehr sehr konsistent: 21 bis 71 Zentimeter (im Bericht
von 1990), 13 bis 94 Zentimeter (1995) und 9 bis 88 Zentimeter (2001). Zum
Ausgleich der Temperaturen brauchen die Ozeane viele hundert Jahre.
Deshalb steigt der Meeresspiegel auch dann noch an, wenn die Erwärmung der
Atmosphäre bereits abgeschlossen ist. Das IPCC hat seit seinem ersten
Bericht diese langfristige Erhöhung mit zwei bis vier Metern veranschlagt.
Der gegenwärtige Anstieg von ein bis zwei Millimetern pro Jahr ist im
Einklang mit den Erwartungen für das 21. Jahrhundert. Denn die Erwärmung
steht erst an ihrem Anfang - der jährliche Anstieg ist noch
gering.
2. Grönland war im Mittelalter nicht "weitgehend eisfrei".
Das belegen Eisbohrkerne aus den verschiedensten Regionen von Grönland:
Sie enthalten alle Eis, das mehrere tausend, ja bis zu hunderttausend
Jahre alt ist.
3. Das IPCC hat nicht, wie es im Weltwoche-Artikel
steht, Klimakurven "verschwinden lassen". Tatsache ist, dass eine grob
geschätzte, schematische Temperaturkurve der letzten tausend Jahre aus dem
Bericht von 1990 ersetzt wurde durch eine Kurve, die auf Baumringen und
anderen Klimaarchiven beruht, also auf quantitativen Abschätzungen der
Temperaturen der nördlichen Hemisphäre.
Gerade hier zeigt sich,
dass das IPCC in seinen periodischen Statusberichten die neuesten
Erkenntnisse aufnimmt. Der Vorwurf, die Kurve sei "statistisch nicht
haltbar", verfängt nicht: Die Temperaturkurven stammen von mehreren
unabhängigen Forschern und basieren auf unterschiedlichsten Datensätzen.
Alle Rekonstruktionen zeigen einen bedeutenden Anstieg der Temperatur seit
etwa 1900. Für die letzten dreissig Jahre erreichen sie Werte, die über
die bekannte Schwankungsbreite der letzten tausend Jahre
hinausgehen.
4. Die Aussage, der Mensch sei nur mit rund drei
Prozent an der globalen CO2-Emission beteiligt, wird von Skeptikern seit
Jahren verbreitet. Sie ist bewusst irreführend: Die kleine Prozentzahl
täuscht Bedeutungslosigkeit vor. Doch es sind just die menschengemachten
drei Prozent, die sich im Gegensatz zum grossen Rest in der Atmosphäre
anreichern. Insgesamt fliessen durch das Atmen aller lebenden Organismen
pro Jahr etwa 210 Milliarden Tonnen Kohlenstoff in die Atmosphäre und
wieder zurück.
Die Oekosysteme selbst nehmen ihre Emissionen
vollständig wieder auf und binden sie in Form von Biomasse. Dieser
"jährliche Umsatz" demonstriert eindrücklich das dynamische Gleichgewicht
des Systems Erde.
Demgegenüber verursachen jene jährlich sieben
Milliarden Tonnen Kohlenstoff, die der Mensch durch die Verbrennung
fossiler Energieträger, Abholzung und Zementproduktion in die Luft bringt,
einen "Gewinn", da diese Emissionen nur zum Teil von Oekosystemen
aufgenommen werden. Diesen "Gewinn" in Prozentzahlen des "Umsatzes" zu
messen, ist irreführend und suggeriert bewusst die Irrelevanz der
menschlichen Emissionen. Es ist vielmehr und ausschliesslich der
menschengemachte Ausstoss, der in den letzten 250 Jahren zur stetigen
Zunahme der CO2-Konzentration in der Luft geführt hat und damit für den
verstärkten Treibhauseffekt verantwortlich ist.
Aussagen von einzelnen Experten: Entgegen der zitierten Meinung des
Physikers Zbigniew Jaworowski, der übrigens in der Klimaforschung nicht
bekannt ist, basieren Klimamodelle auf den Grundgesetzen der Physik.
Klimamodelle enthalten die gleichen mathematischen Formulierungen wie die
Wettervorhersagemodelle, deren Erfolg nachgewiesen ist und ohne die wir
keinen Ausflug planen! Der Fortschritt der Klimamodellierung der letzten
zehn Jahre bleibt in Jaworowskis Aussage unberücksichtigt: Die heutigen
globalen Modelle enthalten sowohl Ozeane als auch Meereis und bilden die
Wechselwirkungen zwischen den einzelnen Klimasystemkomponenten in
erstaunlich realistischer Weise nach. Verbesserungen sind natürlich
weiterhin notwendig, vor allem bei der Simulation des Wasserkreislaufs
und der Wolkenbildung.
Der bekannte Klima-Skeptiker Richard
Lindzen, ein respektierter Atmosphärendynamiker und Mitautor verschiedener
IPCC-Berichte, verbreitet Thesen über Kühlsysteme, die sich nachträglich
als unhaltbar entpuppt haben. So verglich er neulich die Wolkenbedeckung
in den Tropen mit einer gigantischen Iris, die sich bei Erwärmung
schliesse und deshalb wie ein natürlicher Thermostat wirke. Abgesehen
davon, dass die Idee nicht neu ist und Lindzen selbst sie als "sehr
vorläufig" bezeichnete: Die These wurde kürzlich aufgrund einer
eingehenden Analyse widerlegt. Die Hoffnung auf eine Selbstregulierung der
Natur bei einer Störung des Systems, die weit ausserhalb der natürlichen
Schwankungsbreite liegt, scheint illusorisch.
Vereinfachungen,
falsche Behauptungen, einzelne abweichende Expertenmeinungen, angesichts
dieser Mixtur ist die Schlussfolgerung in Maxeiners Text nicht mehr
überraschend und deckt sich im Tenor mit ähnlichen Artikeln über
schwierige Themen, die die Gesellschaft von heute herausfordern:
"Entwarnung, alles halb so schlimm, kein Grund zur Sorge."